Von meinem Balkon aus kann ich direkt in die Kronen mehrerer Bäume schauen, die sich nur wenige Zentimeter entfernt befinden. Aufgrund der Hitze und vermutlich der menschlichen Nähe landen tagsüber nur selten Vögel zwischen den Blättern. Doch am Abend ändert sich das: Sobald die Dämmerung einsetzt, kommen die Flughunde – genauer gesagt: die Brillenflughunde. Meistens höre ich sie, bevor ich sie sehe. Zum einen wegen ihres Gekreisches und zum anderen wegen der Flügelschläge und dem damit oftmals verbundenen Rascheln in den Bäumen. Die Tiere sind auf Nahrungssuche – und da ist sich jeder selbst der Nächste.
Hier in Cairns, im Bundesstaat Queensland, im Nordosten Australiens gibt es mehrere Kolonien der Brillenflughunde. Hier kann man diese intelligenten und so gar nicht angsteinflößenden Tiere tagsüber – mit ausreichend Abstand – beim Schlafen beobachten. Dass sie abends ganz von selbst bis auf wenige Meter an uns herankommen, ist jedes Mal aufs Neue eine Freude. Insbesondere, wenn man weiß, wie ernst es um die Art bestellt ist.
Was unterscheidet Flughunde von Fledermäusen?
Der Brillenflughund ist einer von vier in Australien lebenden Flughunden. Flughunde unterscheiden sich in einigen Punkten von Fledermäusen: Erstens sind sie i. d. R. größer und schwerer, weshalb sie deutlich langsamer fliegen als Fledermäuse. Zweitens haben sie eine hundeähnliche Schnauze sowie Glubschaugen, mit denen sie – im Gegensatz zu Fledermäusen – auch nachts sehr gut sehen können. Daher brauchen Flughunde keine Echoortung, um sich im Dunkeln orientieren zu können. Drittens ernähren sie sich von Pollen, Nektar und Obst, statt Insekten und Tierblut. Dieses duftet nicht nur gut, es kann auch nicht wegfliegen. Weitere Gründe, warum Flughunde keine Echoortung benötigen. Und zuletzt kommen die Tiere v.a. in wärmeren Erdregionen vor, wo es im Winter nicht sehr kalt wird. Dadurch sind Winterschlaf, Winterruhe und Winterstarre ebenfalls nicht notwendig.
Ein weiterer Unterschied, der gerade hier in Australien besonders deutlich wird, ist, dass Flughunde in Bäumen statt wie Fledermäuse in Höhlen leben. Diese befinden sich jedoch aufgrund der Abholzung ihres natürlichen Lebensraumes, dem Wald, sowie der durch den Klimawandel versiegenden Wasserquellen vermehrt in urbanen Gebieten. Das wiederum führt zu Kot- und Urinausscheidungen der Tiere in privaten Gärten und öffentlichen Parks und folglich zu einem gewissen Geruch in der Luft. Hinzu kommt, dass Flughunde, wenn sie in den frühen Morgenstunden von ihrer Nahrungssuche zurückkommen, einen höllischen Lärm veranstalten können, denn um die besten und gleichzeitig wenigen Plätze zum Ausruhen im Baum wird lauthals gestritten. Trotzdem handelt es sich beim Brillenflughund um ein äußerst soziales Lebewesen, das in teils riesigen Gruppen zusammen rastet und schläft.
Der in Nordaustralien, Papua-Neuguinea und Teilen Indonesiens vorkommende Brillenflughund zeichnet sich durch eine helle, brillenartige Fellzeichnung um die Augen herum aus. Der Rest des Körpers, inklusive der Flügel, die eine Spannweite von ungefähr einem Meter erreichen, ist dunkel bis schwarz. Ihr natürlicher Lebensraum ist nicht allzu groß: In Australien kommen sie lediglich in einem schmalen Küstengebiet der zum Weltnaturerbe gehörenden Feuchttropen im nördlichsten Queensland, dem Cape York, vor.
Nahrungssuche bedeutet für den Brillenflughund: Den Regenwald retten und Arbeitsplätze schaffen
Wenn die Tiere in der Abenddämmerung ausschwärmen, begeben sie sich zum einen auf Nahrungssuche. Zum anderen erfüllen sie aber auch eine essenziell wichtige Funktion für den Regenwald. Sie fliegen nämlich große Entfernungen und verbreiten dabei Samen und bestäuben Blüten – und das über einer deutlich größeren Fläche als Insekten. Daher gelten sie als ,Schlüsselspezies‘, denn im hiesigen Ökosystem ist diese besondere Verbreitungsmöglichkeit durch die Flughunde einmalig.
Neben diesem direkten Einfluss auf die nordaustralischen Feuchttropen, hat der Brillenflughund auch einen indirekten: Viele Bäume hängen von der Samenverteilung und Bestäubung durch die Tiere ab. Ein gesundes Ökosystem hängt von eben diesen Bäumen ab. Und das Ökosystem Feuchttropen lockt jedes Jahr Millionen Menschen an, die die hiesige Flora und Fauna bewundern. Diese Besucher:innen kreieren einen riesigen Tourismusmarkt, der große Summen an Geld, sowie Jobs für die lokale Bevölkerung produziert. Ohne die Flughunde ist die Basis dieses Systems in Gefahr. Das hat wiederum einen direkten Einfluss auf diejenigen Menschen, die von ihm abhängen. Leider ist das den meisten Leuten hier nicht bewusst.
Gefahr für den Brillenflughund droht von allen Seiten
Die nachtaktiven Flughunde sind bei den Anwohner:innen in Cairns und anderen Städten nicht einfach nur unbeliebt. Die Menschen gehen sogar, teils auch illegal, gegen die stark gefährdeten Tiere vor – obwohl es, wie so oft, der Mensch ist, der den Lebensraum des Brillenflughundes und seiner Verwandten enorm reduziert und ihm damit nicht allzu viel Wahl lässt, wohin er ausweichen soll.
Obwohl der Brillenflughund unter dem „Commonwealth Environment Protection and Biodiversity Conservation Act 1999“ in Australien und unter dem „Nature Conservation Act“ im Bundesstaat Queensland geschützt ist, reduziert sich ihr Bestand massiv. Habitatverlust zugunsten des Häuserbaus, durch Klimawandel entstehende Brände und Dürren, die Landwirtschaft und damit verbundene Tötungen durch Menschen (bis 2008 erteilte die Regierung teilweise sogar legale Erschießungslizenzen zum Schutz der Ernten) sind nur einige Bedrohungen. Die Art wurde 2019 von der „Internationalen Union zur Bewahrung der Natur“ (IUCN), auch Weltnaturschutzunion, in Australien und global als „bedroht“ eingestuft und steht seither auf der Roten Liste der internationalen NGO. Dies ist die aktuellste Einschätzung, die gleichzeitig ein Massensterben aus dem Jahr 2018 nicht mit einrechnet. Daher sagen einige Expert:innen, dass die Art eher als ‚kritisch gefährdet‘ eingestuft werden sollte.
Stacheldrahtzäune, Stromleitungen, falsche Netze auf den Obstplantagen, sowie Unfälle mit Autos und Angriffe von Katzen und Hunden sind weitere Gefahrenquellen. Hinzu kommt, dass die Flughunde hier im tropischen Norden Australiens von Zecken mit tödlichen Viren infiziert werden können. Gegen diese besitzen sie kaum Abwehrkräfte. Jungtiere, die an ihren Eltern hängend aufwachsen, werden durch die sogenannte Zeckenlähmung oft zu Waisen, wenn die Elterntiere paralysiert vom Baum fallen. Dadurch können sie sich verletzen oder sie bleiben schutzlos am Boden liegen. Außerdem werden Jungtiere oft zurückgelassen, wenn in direkter Nähe der Bäume Menschen für zu viel Unruhe sorgen. Denn damit wird der Brillenflughund einem enormen Stresslevel ausgesetzt.
Das alles kombiniert mit einer niedrigen Reproduktionsrate führt langfristig zu einer besorgniserregenden Dezimierung der Art.
Überträgt der Brillenflughund tödliche Viren?
Ein weiterer Grund, warum Flughunde bei Menschen sehr unbeliebt sind, ist die mögliche Übertragung von Tollwut durch die Tiere. Sie können das Lyssavirus (ABLV) in sich tragen, was sich jedoch nur durch unbehandelte tiefe Hautbisse oder -kratzer übertragen lässt. Untersuchungen aus den 2000ern deuten darauf hin, dass nur rund 1 % der Flughunde das Virus in sich tragen. Von den kranken und verletzten Individuen tragen rund 7 % das Virus in sich.
Menschen, die eher mit am Boden liegenden verletzten Tieren in Kontakt kommen können, werden angehalten, keine Brillenflughunde anzufassen. Warum? Weil infizierte Tiere Verhaltensänderungen wie Aggressionen, Lähmungen oder Anfälle aufzeigen, die dazu führen können, dass Menschen oder Haustiere gebissen werden. Wenn man nicht geimpft ist und mit einem Tier in Kontakt kommt, muss dieses auf Tollwut getestet werden, um eine Infektion auszuschließen. Dies führt in der Regel dazu, dass das Tier stirbt.
Die Katastrophe von Cairns
In Cairns gibt es zwei landesweit anerkannte Camps, also riesige Kolonien, in denen die Flughunde tagsüber zusammenkommen und in den Bäumen Schutz suchen. Eines der beiden im Herzen der Stadt wurde 2015 um 11 Bäume, die als Schlafstätten dienten, vom Novotel Oasis Resort dezimiert – mit Erlaubnis des lokalen Gemeinde-rates und der nationalen Regierung. An ihrer Stelle befinden sich jetzt das besagte vergrößerte Resort, ein weiteres Hotel und das Cairns Aquarium. Auf der anderen Straßenseite, direkt neben der Bibliothek, wurden ebenfalls zwei altehrwürdige Bäume gefällt. Insgesamt wurden 25 von 38 Schlafstellen-Bäumen gefällt.
Tausende Brillenflughunde, die von ihrem Beutezug zurückkamen, sahen sich kahlem Gelände gegenüber und mussten sich in den bestehenden Bäumen zusammenquetschen. Augenzeug:innen berichteten, dass in diesem Fall auch gegen den Codex zum Schutz der Tiere bei Umsiedlungsprojekten verstoßen wurde, da Bäume gefällt wurden, in denen sich noch Tiere befanden. Flughunde können auch nicht kontrolliert in andere Gebiete geleitet werden – es sind schließlich wilde, flugfähige Tiere. Das heißt, dass sie sich notgedrungen neue Schlafplätze suchen müssen. Entsprechende Studien zeigten, dass Flughunde in solchen Fällen jedoch nicht weiter als 6 km fliegen. Und vermutlich fühlen sich auch am neuen Standort die Anwohner:innen gestört. Das ,Problem‘ wurde also nicht behoben, sondern lediglich unkontrollierbar verlegt.
Eine mittelgroße Katastrophe ereignete sich wie schon erwähnt im November 2018 in Cairns. Drei Tage lang anhaltende extreme Temperaturen führten zu solchem Hitzestress bei den Brillenflughunden, dass schätzungsweise ein Drittel der Population, ca. 30 000 Tiere, erstickt und verdurstet ist! Obwohl die Regierung danach einen sogenannten Hitzestress-Notfallplan erstellt hat, um in einem erneuten Fall handlungsfähig zu sein, erstaunt es doch, dass unter dessen „Zielsetzung“ als erstes steht: Effektive Regelung der Gefahr für die Gemeinschaft. Vom Schutz der Art ist in der Zielsetzung nichts zu finden.
Was tut Cairns, was tut Australien, um diese wichtigen Bewohner:innen der Feuchttropen zu schützen?!
Wenn man einen Blick auf die Schutzmaßnahmen der australischen Regierung wirft, wird man generell bitterlich enttäuscht, sollte man diese in großem Umfang und der Bedrohlichkeit der Situation angemessen erwarten: Es wird beobachtet, kontrolliert und informiert, doch aktiv getan wird von Regierungsseite aus nicht viel, obwohl diverse Tierschutzorganisationen dies explizit und begründet fordern. Das reicht nicht! Es müssten vermehrt Schutzgebiete und Renaturierungsprojekte mit aktivem Management und Kontrollinstanzen entstehen. Außerdem müsste es politische Regulationen zum Schutz der Tiere geben, die hohe Anforderungen an die Privatwirtschaft stellen. Es müsste vermehrt in die Forschung investiert werden, um einen effektiven Aktionsplan zur Rettung der Art in Kraft zu setzen u.v.m. Doch nichts davon passiert.
Was passiert nun in Cairns, um den Brillenflughund zu schützen? Nun ja, nicht viel. Das ,Camp‘ an der Bücherei beherbergt nach Schätzungen derzeit ca. 10–12 % des gesamten Bestandes in Australien, darunter jährlich rund 2000 Jungtiere. Der Plan zur Erholung des Bestands des Queensland Department of Environment and Resource Management, der 2011 in Kraft trat, war inhaltlich mangelhaft, als Ganzes ineffizient und hat deswegen auch nahezu nichts bewirkt. Er hat darüber hinaus am 1. Oktober 2021 seine Geltung verloren und einen Nachfolgeplan gibt es nicht – es sei keine Priorität des lokalen Gemeinderates.
Ansonsten gibt es keinen Plan, in dem die Gefahrenbekämpfung für den Brillenflughund thematisiert wird. Hinzu kommt, dass lokale Regierungen befugt sind, unter Einhaltung des bereits erwähnten Codex und mittels nicht tödlicher Maßnahmen, die Camps in den Städten, in denen die Tiere leben, zu zerstreuen und umzusiedeln. Zu diesen „nicht tödlichen Maßnahmen“ zählen u.a. der Einsatz von Pyrotechnik, sowie die Bestrahlung mit Licht und laute Beschallung. In anderen Worten: Die Tiere dürfen nicht getötet werden, aber sie dürfen so sehr gestresst und belastet werden, dass es schon ein wenig an moderne Folter erinnert. Die Tatsache, dass keine konkreten Wunden zugefügt und die Umsiedlung durch „erfahrene Expert:innen“ durchgeführt wird, scheint von Seiten der Regierung eine ausreichende Rechtfertigung zu sein. Die Zerstörung oder gezielte Störung eines Camps kann seitens der Öffentlichkeit, Schulen und anderer juristischer Personen bzw. Körperschaften beantragt werden.
Eine Geschichte ohne Happy End
Werden die Tiere nun also geschützt oder nicht? Hier findet sich auf der offiziellen Webseite des australischen Bundesstaates genau ein Satz: Flughunde sind in Queensland unter dem „Nature Conservation Act 1992“ als geschützte Wildtiere eingestuft.
Ich wage also zu behaupten, dass die finale Antwort, trotz vieler Bemühungen von Tierschutzorganisationen und der Zivilgesellschaft, „Nein“ lautet – schlicht und ergreifend. Es ist tragisch zu sehen, wie wenig Respekt und Wertschätzung diesen enorm wichtigen Tieren von politischer, wirtschaftlicher, aber auch zivilgesellschaftlicher Seite entgegengebracht wird.
Ein Grund mehr, warum ich mich jeden Abend freue, wenn die ersten Brillenflughunde in den Bäumen neben unserem Balkon landen. Wenn sie sich wie kleine Äffchen an den Ästen entlang hangeln, um ihre Früchte zu schnabulieren. Wenn einer weiterfliegt, weil der nächste bereits im Anflug ist. Ihnen zuzuschauen, wenn sie fressen, fliegen oder kopfüber im Baum hängen, ist einfach faszinierend und herrlich entspannend für mich. Es bricht mir jedes Mal das Herz, wenn ich dabei über ihre Situation nachdenke. Würde ich die Brillenflughunde auch noch sehen, wenn ich in zehn Jahren an diesen Ort zurückkäme?
TAKE ACTION – change.org petition
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